"In der Lipidologie ist es wie in einem Krimi:
Größtes denkbares Opfer ist eine kardiovaskuläre Erkrankung oder gar ein Menschenleben.
Die Ganoven lassen sich der Übersicht halber in drei Klassen einteilen:
die LDL, Lp(a) und Remnants. Sie sind der Clanbildung nicht abgeneigt. Manche treten schon beim Neugeborenen auf, das sind dann familiäre LDL-Hypercholesterinämie. Manche suchen Komplizenschaft bei Rauchern und hemmen dabei Schlüsselenzyme, andere suchen sich Couch Potatoes, machen sich Depression oder Angst zunutze und erhöhen Stresshormone, manche profitieren von Schlafapnoe, Übergewicht, Rheuma, HIV, Alter und Menopause. Hochdruck, Diabetes und Nikotin sind ebenfalls echte Kriminelle. Ein ungünstiges soziales Milieu haben sie alle gern.
Sie zu suchen ist manchmal einfacher, manchmal schwieriger. Es hilft, die Familiengeschichte zu kennen. Sie präsentieren sich erst mal durch LDL, HDL, Gesamtcholesterin und Triglyzeride. Bei der Spurensuche hilft auch Lp(a) und Apolipoprotein B , sowie C-II. Durch eine Lipoproteinultrazentrifugation werden sie genauer erkennbar. Wir nennen das Resultat der Suche dann Phänotyp. Im Gegensatz dazu steht ihr Genotyp, der selten in der Therapie weiterhilft. Arterien oder gar deren Entzündungsreaktion abzubilden führt manchmal auch auf ihre Spur.
Doch nun zur Therapie, die durch Beobachtung der Täter und genetische Studien geprägt ist. Therapieziele sind Anhebung der LDL-Rezeptoren in Leberzellen (unsere Abfangjäger) und Interferenz durch Modifikation/Komposition atherogener Lipoproteine.
LDL lassen sich gut medikamentös behandeln. Statine sind hochwirksame Waffen, denn sie reduzieren das Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung. Nebenwirkungen treten selten auf, doch Kommissare müssen sich um die Beobachtung kümmern. Statine können dann auch durch andere Medikamente ersetzt, oder hochwirksam ergänzt werden: die injizierbaren, das sind monoklonale Antikörper und die siRNA. Der optimale LDL-Bereich ist, wie tausendfach nachgewiesen, niedrig. Verschiedene Vorerkrankungen bestimmen ihn. Kommissare diskutieren hier noch über Details.
Lp(a) ist ein Fall für sich, da medikamentös noch nicht behandelbar. Aber Hilfe ist in Sicht von anti-sense Nucleotiden. Auch hier gilt: gut Ganoven, sowie andere kleine Giftzwerge (sd LDL) zu kennen. Nicht nur Medikamente helfen. Frühere radikale Maßnahmen wie die Blutwäsche, die sind bald überholt.
Remnants sind genauso kriminell, gerade, weil sie nicht so leicht auf den ersten Blick zu erkennen sind. Sie entstehen durch eine ineffektive Lipolyse, nicht ganz ausgekocht sozusagen. Hochgefährlich, da sie sich bislang allen medikamentösen Eliminierungen mit Fibraten, Nikotinsäurederivaten und der Omega-3 Fettsäure EPA erfolgreich widersetzen. Sie sind aber erfahrungsgemäß gut behandelbar durch Ernährungsmaßnahmen.
Überhaupt Ernährungstherapie: beim LDL ist es die Fettmodifikation. Bei den anderen beiden zunächst die Umstellung der Ernährung auf einen Anteil von 40 % Kohlenhydrate, 40 % Fett und 20 % Eiweiß pro Mahlzeit. Die Zufuhr von Sphingomyelinen ist manchmal hilfreich, die Auswahl der Nahrungsfette relevant auch für die Behandlung von Diabetes. Klar, das Gewicht im Zaum halten! Mithilfe des speziell ausbildeten Ernährungsteams klappt das alles.
Nicht alle Fettstoffwechselstörungen führen zu Erkrankungen der Arterien, manche auch zu Pancreatitis, viele zur Fettleber (NAFLD) und deren Folgen.
Betrachtet man die Anzahl von Therapiezielen wie ApoC-III, ANGPTL3, CEPT und LCAT oder gar Korrektur mittels Genschere, dann ist der Krimi auf dem Weg zum Science-Fiction Thriller.
Je früher begonnen, desto weniger Herzinfarkt."
Dr. Volker Schrader
Intenist, Kardiologe, Lipidologe (DGFF, AdiF), Psychotherapie